Neues Urteil: Löschung einer GmbH i.L. trotz offener Besteuerungsverfahren möglich

Auch wenn noch nicht alle Besteuerungsverfahren abgeschlossen sind, sind die Registergerichte in bestimmten Fällen zur Löschung einer sich in Liquidation befindlichen GmbH verpflichtet. Das hat das Oberlandesgericht Jena in einem neueren Urteil entschieden (Urteil vom 20.05.2015, ZIP 2016, 25 f.).

1. Der Sachverhalt: typisch und daher von besonderer Relevanz

Der Sachverhalt, der dem Urteil zugrundeliegt, spiegelt eine bei deutschen Registergerichten täglich vorkommende Situation wider. Gerade deshalb ist er für die Praxis von besonderer Relevanz:

Eine Gesellschaft, im konkreten Fall eine GmbH, soll beendet und zu diesem Zweck in die geregelte Liquidation geführt werden. Das haben die Gesellschafter beschlossen. Die Auflösung der Gesellschaft wird von den Geschäftsführern zum zuständigen Handelsregister angemeldet und sodann der obligatorische Gläubigeraufruf (§ 65 Abs. 2 GmbHG) im Bundesanzeiger vorgenommen. Damit läuft in der Regel das sogenannte „Sperrjahr“ (§ 73 GmbHG) an. In diesem haben die Gläubiger der sich in Liquidation befindlichen Gesellschaft Zeit, sich zu melden und etwaige (Zahlungs-) Ansprüche geltend zu machen.

Daher ist die Rechtsprechung bisher davon ausgegangen, dass die Löschung der Gesellschaft frühestens nach Ablauf des Sperrjahres beantragt werden kann. Das könnte sich nun mit dem neuen Urteil ändern. Viele betroffene Unternehmen könnten auf diese Weise erhebliche Verzögerungen und damit verbundene Mehrkosten vermeiden.

2. Löschung schon vor Ende des Sperrjahres? Die Kernaussagen des OLG Jena

Das OLG Jena setzt sich in seinem Urteil mit der Frage auseinander, ob eine Löschung der Gesellschaft doch schon vor Ablauf des Sperrjahres (beziehungsweise ohne die Einhaltung einer solchen Frist) zulässig ist: Inwiefern vermögen offene Besteuerungsverfahren der zuständigen Finanzämter die Löschung zu verhindern – wie es in der Praxis von den Registergerichten häufig gelebt wird? Besonders interessant ist der zweite Teil der Entscheidung.

2. a. Wann ist das Sperrjahr obligatorisch?

Im ersten Teil seines Urteils stellt das OLG Jena klar, dass die Löschung der Gesellschaft vor Ablauf des Sperrjahres beziehungsweise ohne die Einhaltung eines solchen grundsätzlich nur in Ausnahmefällen in Betracht kommt. So reicht es nicht aus, dass bereits alle der Gesellschaft bekannten Gläubiger befriedigt wurden. Das Sperrjahr soll gerade denjenigen Gläubigern die Möglichkeit geben, etwaige Forderungen geltend zu machen, die der Gesellschaft im Zeitpunkt des Gläubigeraufrufs nicht bekannt sind. Insofern empfiehlt es sich für die Liquidatoren tunlichst, den Ablauf des Sperrjahres abzuwarten. Denn sie haften gemäß § 73 Abs. 3 GmbH für (vorschnell) verteiltes und damit dem Zugriff der (potentiellen) Gläubiger entzogenes Gesellschaftsvermögen.

Eine Löschung der Gesellschaft vor Ablauf des Sperrjahres kommt nur dann in Betracht, wenn die Gesellschaft über kein verteilungsfähiges Vermögen mehr verfügt. In diesem Fall spielen nämlich auch mögliche, noch unbekannte Gläubiger keine Rolle mehr, jedenfalls auf der Ebene der Haftung der Gesellschaft für ihre Schulden. Diese Vermögenslosigkeit ist von den Liquidatoren in der entsprechenden Handelsregisteranmeldung zu versichern.

Fehlt eine solche Versicherung in der Handelsregisteranmeldung, kann das Registergericht die Eintragung der Löschung verweigern, bis die Versicherung nachgeholt wird oder bis, wie im konkreten Fall, das Sperrjahr abgelaufen ist.

Insofern stellt das OLG Jena klar, dass ein laufender Aktivprozess einer vorzeitigen Beendigung immer entgegensteht. Im Rahmen eines Aktivprozesses könnte schließlich eventuell verteilbares Vermögen noch erwirtschaftet werden.

2. b. Löschung trotz offener Besteuerungsverfahren

Der mindestens genauso interessante, wenn nicht sogar interessantere Teil der Entscheidung des OLG Jena liegt allerdings im zweiten Teilaspekt, den das Gericht mit seinem Urteil beleuchtet. Denn in der täglichen Arbeit der Registergerichte ist es gängige Praxis, dass die Eintragung der Löschung einer Gesellschaft im Handelsregister auch nach Ablauf des Sperrjahres nicht sofort erfolgt. Oft unterbleibt sie solange, bis die zuständigen Finanzämter ihre Freigabe zur Löschung erteilt und dem anfragenden Registergericht den Abschluss sämtlicher Besteuerungsverfahren im Hinblick auf die Gesellschaft gemeldet haben.

Bereits von der entsprechenden Anfrage an die Finanzämter bis zu deren Rückantwort an die anfragenden Registergerichte können im Einzelfall mehrere Monate vergehen. Sind dann im konkreten Fall, wie zumeist, auch tatsächlich noch nicht alle Besteuerungsverfahren abgeschlossen, verlängert sich die Wartezeit bis zur Eintragung der Löschung nochmals entsprechend. Alles in allem kann diese von den Registergerichten gelebte Praxis im Einzelfall die Löschung der Gesellschaft um mehrere Jahre verzögern. Dies führt zu erheblichen Mehrkosten im Rahmen der Liquidation.

Dieser Praxis der Registergerichte hat das OLG Jena mit seinem Urteil vom 20.05.2015, zumindest für den Fall möglicher Steuernachzahlungen im Rahmen der Besteuerungsverfahren, eine Absage erteilt. Sie ist unzulässig, wenn die in Liquidation befindliche GmbH nach den Feststellungen des Registergerichts ihren Geschäftsbetrieb endgültig eingestellt hat und über kein verteilbares Vermögen mehr verfügt. In der Praxis beruht dies im Wesentlichen auf den entsprechenden, in der Handelsregisteranmeldung abzugebenden Versicherungen der Liquidatoren. Dabei ist es nach zivilrechtlichen Grundsätzen ohne Belang, ob die Finanzverwaltung noch Steuerforderungen gegen die Gesellschaft hat. Solche Steuerforderungen stehen der Vollzugsreife der Löschung im Handelsregister nicht entgegen.

Lediglich für den Fall, dass die Gesellschaft ihrerseits aus den Besteuerungsverfahren noch Ansprüche gegen die Finanzbehörden und damit die Möglichkeit auf weiteres, verteilbares Gesellschaftsvermögen hat, würden offene Besteuerungsverfahren die Eintragung des Erlöschens   hindern. Sind keine Steuererstattungen zu erwarten, ist von den Registergerichten somit auch dann zu löschen, wenn die Finanzverwaltung die Besteuerungsverfahren noch nicht abgeschlossen hat. Dies gilt sogar dann, wenn aus diesen noch laufenden Besteuerungsverfahren Steuernachzahlungen der Gesellschaft zu erwarten sind.

3. Fazit: Starkes Argument für die Eintragung der Löschung

Ob sich diese Ansicht des OLG Jena bei den Registergerichten in der Praxis durchsetzt oder die Registergerichte ihre derzeitige Praxis beibehalten, bleibt abzuwarten, da die Rechtsprechung der deutschen OLGs insofern nicht einheitlich ist. So lehnt beispielsweise das OLG Hamm mit Urteil vom 1.7.2015 (NZG 2015, 953) die Löschung einer sich in Liquidation befindlichen GmbH während eines noch laufenden Steuerverfahrens generell ab; also auch für den Fall einer zu erwartenden Steuernachzahlung.

Das Urteil des OLG Jena ist für die Praxis jedoch derzeit ein starkes Argument, um eine Eintragung der Löschung bei den zuständigen Registergerichten einzufordern, notfalls auch auf dem Rechtsweg. Voraussetzung ist hierbei in jedem Fall, dass keine Steuererstattungen zu erwarten sind und auch im Übrigen kein Vermögen mehr vorhanden ist.