Streit um „harte“ und „weiche“ Bilanzgarantien: Empfehlungen für die Vertragsgestaltung

Aktuelles Urteil gibt wichtige Fingerzeige für Verkäufer und Käufer

Unternehmenskaufverträge enthalten – neben anderen Zusagen – auch oft Garantien des Verkäufers zur Richtigkeit von Jahresabschlüssen des verkauften Unternehmens. In der Praxis gibt es häufig Streitigkeiten um diese sogenannten Bilanzgarantien: Unter welchen Umständen gilt die Garantie als verletzt? Was sind die Folgen einer Verletzung der Garantie? Dennoch haben die Gerichte bislang relativ selten die Gelegenheit gehabt, zu diesen Fragen Stellung zu nehmen. Daher ist ein jüngst ergangenes Urteil des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main für Verkäufer und Käufer von Unternehmen und deren Anwälte besonders interessant. Es setzt sich intensiv mit der Auslegung von Bilanzgarantien und den Rechtsfolgen einer Verletzung auseinander. Daraus lassen sich wichtige Fingerzeige für die M&A-Vertragsgestaltungspraxis ableiten. Was sagt das Urteil genau aus, und was lässt sich daraus lernen?

Das Urteil des OLG Frankfurt am Main zur Auslegung von Bilanzgarantien

Mit dem Urteil vom 07.05.2015 (Az.: 26 U 35/12) hat der für Vollstreckungssachen zuständige 26. Zivilsenat des OLG Frankfurt a.M. Folgendes entschieden: Eine beim Erwerb einer Mehrheit von Geschäftsanteilen an einer GmbH in dem Kaufvertrag aufgenommene Zusicherung, dass der Jahresabschluss die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage der Gesellschaft zutreffend darstellt, ist als sogenannte „harte Bilanzgarantie“ anzusehen. Deren Erfüllung ist allein nach objektiven Kriterien und nicht nach dem subjektiven Horizont des Verkäufers (oder des Käufers) zu beurteilen.

Der ersetzbare Schaden des Käufers ergibt sich aus dem „Minderwert“. Dies ist die Differenz zwischen dem vereinbarten Kaufpreis und dem niedrigeren Kaufpreis, den der Käufer in Kenntnis der tatsächlichen ungünstigeren Ertragslage der Gesellschaft vereinbart hätte. Er besteht also nicht in der Summe der Differenz der einzelnen unrichtigen Bilanzpositionen („Bilanzauffüllung“).

Dem Urteil lag – vereinfacht – der folgende Fall zugrunde:

Die klagende Käuferin hatte von der Verkäuferin sämtliche Geschäftsanteile an einer GmbH zu einem Kaufpreis von EUR 675.000 erworben. Zugleich hatte sie sich zur Rückzahlung von Darlehen bis zu einem Höchstbetrag von EUR 185.000 verpflichtet, die die Verkäuferin der Gesellschaft gewährt hatte. Hinsichtlich beider Verpflichtungen hatte sich die Käuferin in der Kaufvertragsurkunde der sofortigen Zwangsvollstreckung unterworfen.

Der Kaufvertrag enthielt unter anderem die in der M&A-Praxis typische Garantie, dass der Jahresabschluss (hier für das Geschäftsjahr 2007) „mit der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns unter Beachtung der Grundsätze ordnungsgemäßer Buchführung nach den gesetzlichen Vorschriften unter Beachtung der Bilanzierungs- und Bewertungskontinuität erstellt worden [sei] und [zu den jeweiligen Stichtagen] ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage der Gesellschaft“ vermittle. Nach der vertraglichen Rechtsfolgenregelung sollte die Käuferin bei einer Verletzung einer Garantieerklärung durch Schadenersatz in Geld so gestellt werden, wie sie oder die Gesellschaft stehen würde, wenn die entsprechende Garantie zutreffend wäre.

Nach Zahlung eines Großteils des Kaufpreises ließ die Käuferin den fraglichen Jahresabschluss überprüfen. Das Ergebnis, welche das Gericht weitgehend als zutreffend befand: Er verstoße gegen handelsrechtliche Ansatz- und Bewertungsvorschriften, wodurch sich statt des bilanzierten Gewinns in Höhe von EUR 178.389,96 ein Jahresfehlbetrag in Höhe von EUR 29.141,84 ergebe.

Diese Ergebnisdifferenz machte die Käuferin als Mindestschaden geltend. Den Betrag rechnete sie gegen die noch nicht beglichenen Ansprüche auf Zahlung des Restkaufpreises und aus dem von der Verkäuferin gewährten Darlehen auf. Mit ihrer Klage wendete sich die Käuferin gegen die Zwangsvollstreckung durch die Verkäuferin aus der Kaufvertragsurkunde.

Die Begründung des OLG Frankfurt a.M.: Harte Bilanzgarantie verletzt

Die zitierte Garantie sah das Gericht als „harte“ Bilanzgarantie an. Sie stelle ihrem Inhalt nach nur darauf ab, ob der Jahresabschluss zum maßgeblichen Stichtag die tatsächlichen Verhältnisse objektiv vollständig und korrekt widerspiegle. Im Gegensatz zu einer „weichen“ Bilanzgarantie kommt es somit nicht nur darauf an, dass der Abschluss aus bilanzieller Sicht korrekt ist. Der Verkäufer haftet zudem auch für unbekannte Verbindlichkeiten und Eventualverbindlichkeiten. Dies betrifft nicht nur solche, die in der Wertaufhellungsperiode zum Vorschein kommen und daher in der Bilanz ausgewiesen werden müssen. Die Haftung gilt auch für Verbindlichkeiten, die für den Verkäufer selbst unter Anwendung der gebotenen Sorgfalt zum Zeitpunkt der Aufstellung des Abschlusses nicht erkennbar waren. Die harte Bilanzgarantie wird also durch subjektive Kriterien nicht begrenzt.

Dies gilt nicht nur für die Kenntnismöglichkeiten des Verkäufers, sondern auch für diejenigen des Käufers. Nach Auffassung des Gerichts findet die Regelung des § 442 BGB auf selbständige Garantieansprüche keine Anwendung, wenn nichts anderes vereinbart wurde. Nach den Feststellungen des OLG Frankfurt a.M. beziehungsweise des Gerichts der ersten Instanz war die Bilanzgarantie in diesem Fall wegen fehlender Rückstellungen für latente Steuern, Gewährleistungsverpflichtungen und Rechtsanwalts- und Beratungskosten sowie fehlerhafter Bilanzierung von unfertigen Erzeugnissen objektiv verletzt. Dabei spielt es keine Rolle, ob die beklagte Verkäuferin diese erkennen konnte. Somit besteht ein Schadenersatzanspruch dem Grunde nach.

Höhe des Schadenersatzanspruchs

Der Höhe nach soll der Schadenersatzanspruch nach Auffassung des OLG Frankfurt a.M. nicht darauf gerichtet sein, dass die Bilanz durch Zahlung in Höhe der unrichtigen Positionen „aufgefüllt“ wird. Vielmehr soll in Anlehnung an frühere Urteile des Bundesgerichtshofs zur Haftung für Pflichtverletzungen bei Vertragsanbahnung (sog. culpa in contrahendo, c.i.c.) die Wertdifferenz zu dem (hypothetischen) niedrigeren Kaufpreis erstattungsfähig sein, zu dem der Käufer bei Kenntnis der wahren Sachlage den Unternehmenskaufvertrag abgeschlossen hätte. Dieser Betrag ist notfalls nach § 287 ZPO zu schätzen.

Im hier entschiedenen Fall hat das Gericht es sich relativ einfach gemacht. Es hat den Schaden in Höhe der von einem Gutachter ermittelten Bilanzdifferenz abzüglich eines Abschlags von 20% (mit anderen Worten: auf 80% des Bilanzauffüllungsanspruchs) festgesetzt. Somit wurde der Vollstreckungsgegenklage stattgegeben, soweit der Garantieanspruch den Darlehensansprüchen aufrechenbar gegenüberstand.

Folgen für die Praxis und Gestaltungsempfehlungen

Das Urteil zeigt, wie entscheidend die Abgrenzung der „harten“ zur „weichen“ Bilanzgarantie in einem Unternehmenskaufvertrag ist. Dies sollten die Vertragsparteien und deren Berater zum Anlass nehmen, erhöhte Aufmerksamkeit auf die Formulierung der entsprechenden Garantie zu verwenden. Soll beispielsweise nur eine weiche Bilanzgarantie vereinbart werden, muss man dies durch einen eindeutigen Wortlaut klarstellen.

Über die Rechtsfolgen der Verletzung einer Bilanzgarantie wird durch das hier diskutierte Urteil noch nicht das letzte Wort gesprochen sein, zumal eine höchstrichterliche Klärung dieser Frage weiterhin aussteht. Zu Recht wurde etwa in den bisher veröffentlichten Rezensionen dazu kritisiert, dass das OLG Frankfurt a.M. mit dem Abstellen auf den hypothetischen Minderpreis dem Käufer nur einen Anspruch auf Ersatz des sogenannten negativen Interesses oder Vertrauensschadens zugesprochen hat. Es stellt den Käufer also so, als wenn er die Unrichtigkeit der Bilanz erkannt und den Vertrag daher nicht so abgeschlossen hätte, obwohl die Parteien des Kaufvertrags doch recht eindeutig vereinbart hatten, dass bei Verletzung einer Garantie das positive Interesse zu ersetzen sein soll. Der Käufer solle also so gestellt werden soll, als ob die Bilanz richtig sei. Das ist schon deswegen inkonsequent, weil das OLG Frankfurt a.M. ausweislich der Urteilsbegründung selbst erkannt hat, dass die mögliche Kenntnis des Käufers für das Eingreifen der Garantie unerheblich ist. Der Garantieanspruch wäre also auch im Falle positiver Kenntnis des Käufers von den Fehlern der Bilanz dem Grunde nach gegeben. Nach der Logik des OLG Frankfurt a.M. wäre es in einem solchen Fall aber schwer, auf der Rechtsfolgenseite überhaupt noch einen Schadenersatzanspruch zu begründen.

Ferner ist unklar, ob nach der Vorstellung des OLG Frankfurt a.M. der Anspruch auf Ausgleich des Minderwerts der Höhe nach auf den Bilanzauffüllungsanspruch beschränkt ist. Denn in den Fällen, in denen der Bilanzfehler Ausdruck einer dauerhaften Ergebnisminderung ist, könnte der Minderwert aufgrund der üblicherweise angewendeten Faktoren („Multiples“) bei der Kaufpreisfindung ohne weiteres ein Vielfaches der fehlenden Bilanzposition betragen. Zudem gibt es nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur c.i.c. keine Begrenzung des Vertrauensschadens auf das positive Interesse.

Offen bleibt insbesondere auch, ob insoweit anders zu entscheiden gewesen wäre, wenn der Anspruch sich nicht (wie im vorliegenden Fall) von vornherein auf Schadenersatz in Geld, sondern primär auf Schadenersatz in Natur (sog. Naturalrestitution) gerichtet hätte. So wurde beispielsweise in einem 2011 vom Oberlandesgericht München entschiedenen Fall ein Bilanzauffüllungsanspruch in Höhe der zu Unrecht bilanzierten Forderung bejaht.

Trotz dieser offenen Fragen – oder gerade deshalb – sollten die Kaufvertragsparteien auch auf der Rechtsfolgenseite auf geeignete Formulierungen achten. Sie sollten ausdrücklich klarstellen, welche Ansprüche die Verletzung einer Bilanzgarantie auslöst und wie sich der Schaden konkret berechnet. Insbesondere sollte aus dem Vertrag eindeutig hervorgehen, ob eine Zahlung zur Bilanzauffüllung geschuldet sein soll oder nur Ersatz für den geringeren Wert des gekauften Unternehmens. Dazu könnten spezifische Regelungen im Zusammenhang mit der Bilanzgarantie aufgenommen werden, die die allgemeinen Rechtsfolgenregelungen für den „Garantiekatalog“ eines Unternehmenskaufvertrags – je nach dem Gewollten – abändern, konkretisieren oder ergänzen. Denn allgemeine Hinweise auf „Schadenersatz entsprechend §§ 249 ff. BGB“ oder Ähnliches sagen noch nichts darüber aus, welcher Schaden im Einzelfall nach der Absicht der Parteien wirklich ersetzt werden soll.

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Der Autor: Rechtsanwalt Dr. Thorsten Steinhaus ist Partner in der Rechtsanwaltskanzlei TRACC LEGAL Rechtsanwälte GbR in München. Tätigkeitsschwerpunkte von Dr. Steinhaus sind Unternehmenstransaktionen, der Gewerbliche Rechtsschutz und das Wettbewerbsrecht, die Beratung und Vertragsgestaltung auf dem Gebiet des Zivil- und Wirtschaftsrechts und die Vertretung in Gerichts- und Schiedsverfahren auf den vorgenannten Gebieten. Für eine persönliche Beratung erreichen Sie ihn unter der Rufnummer +49-(0)89-95 44 302-85 und per E-Mail: steinhaus@tracc-legal.de.